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Mediathek Wallis

Kulinarisches Mittelalter

Die Kochkunst steht im Rampenlicht! 2013 erschien im Verlag Gallimard und beim «Musée des lettres et manuscrits» ein stilvoller Band unter dem Titel «L’or des manuscrits. 100 manuscrits pour l’histoire» (zu Deutsch: Handgeschriebenes Gold. 100 Handschriften zur Geschichte)


 

Die Verfasser haben in diesem Buch die schönsten Handschriften der Geschichte und der Menschheit versammelt. Diese «seltensten und bedeutendsten Exemplare dieses Weltkulturerbes» erstrecken sich über viertausend Jahre und über alle Bereiche des menschlichen Wissens. Inmitten von Musiknoten, Zauberbücher und Arzneibüchern kommt auch der kulinarische Genuss zum Zug: eine kleine Pergamentrolle aus Sitten (13 cm breit und 194,5 cm lang) hat einen prominenten Platz in dieser aussergewöhnlichen Auswahl gefunden. Damit findet sich für einmal die Besitzerin, die MW-Sitten, unter den renommiertesten Bibliotheken und Museen aus London, New York, Rom und Paris wieder. Zudem ist eine weitere Handschrift zur mittelalterlichen Küche im Besitz der MW-Sitten: das weltweit einzige Exemplar aus dem Jahre 1420 des heute unter dem Namen «Du fait de cuisine» (zu Deutsch: Vom Kochen) bekannten Buchs enthält Rezepte vom Maître Chiquart, dem Koch des ersten Herzogs von Savoyen Amédée VIII.


Fabian Müller und die Handschrift von Sitten – Mediathek Wallis, J.-Philippe Dubuis

Welche eine Ehre für zwei scheinbar so unbedeutende Dokumente. Und weshalb befinden sie sich im Herzen der Schweizer Alpen, im kostbaren Lager der Mediathek Wallis in Sitten? Wie auch andere Kulturgüter sind sie im Laufe der Zeit viel mit ihren wechselnden Besitzern herumgekommen. Seit der Rennaissance gehörten sie zur Bibliothek der Walliser Familie Supersaxon. Der Bischof von Sitten Walter Supersaxo (ca. 1402-1482) und sein Sohn Georges Supersaxo (ca. 1450-1529) waren die schillerndsten Persönlichkeiten dieser Familie und waren auf militärischer, religiöser und politischer Ebene sowohl lokal aber auch international aktiv. Als Teil der europäischen Elite bildeten sie sich vor allem an neueren Universitäten wie in Basel aus und bauten eine umfangreiche Bibliothek auf, die von ihren Interessen, Vorlieben und ihrem Stand zeugte. Diese Sammlung blieb trotz politischer Turbulenzen in Familienbesitz bis sie 1930 an den Staat Wallis verkauft wurde und so in öffentlichen Besitz überging. Im 1974 veröffentlichten Inventar werden neben mittelalterlichen Handschriften, Inkunabeln und Drucke aus dem 16. Jahrhundert gelistet.  

Neben Romanen und Abhandlungen zur Geschichte, Geografie und Philosophie findet man hier die beiden Handschriften zur mittelalterlichen Kochkunst: den Viandier und das «Du fait de cuisine».

1953 erschien im Jahrbuch Vallesia eine kritische Abhandlung von Paul Aebischer zum Viandier. Dies war die erste wissenschaftliche Untersuchung dieser «sonderbaren Pergamentrolle», die in eleganter gotischer Schrift verfasst wurde.
Unter den zahlreichen mittelalterlichen Pergamenten zum Thema Kochen, die insbesondere durch die spannenden Ausführungen des Historikers Bruno Laurioux bekannt wurden, erscheint die Handschrift als die älteste bekannte Version des Viandier in französischer Sprache. Sie wird auf etwa 1300 datiert und wird häufig Taillevent, einem französischen Hofkoch, zugeschrieben.
In den letzten Jahrzehnten hat das Manuskript durch Neuauflagen der früheren Arbeiten von J. Pichon und G. Vicaire, denen eine Kopie des Sitten-Manuskripts hinzugefügt wurde, oder durch jene von T. Scully viel Beachtung gefunden.
Und 1991 erschien in der Zeitschrift Vallenisa eine kritische Ausgabe des «Du fait de cuisine, ein Papiermanuskript».

Zudem wurden die Originaldokumente in mehreren renommierten Ausstellungen präsentiert und von hochwertigen Katalogen begleitet: zwei Ausstellungen in Italien (1996 und 2006) und Ausstellungen in Frankreich in Toulouse (Ensemble conventuel des Jacobins), Paris (Bibliothèque de l'Arsenal) sowie im Schloss Annecy. Auch dies trug zu ihrem Ruhm bei:
Das Schloss Chillon hatte kürzlich das Privileg die beiden Originaldokumente im Rahmen seiner Ausstellung «L'eau à la bouche» (Wasser im Mund) zu präsentieren.


Schliesslich wurde 2010 eine qualitativ hochwertige Digitalisierung im Rahmen des Projekts e-codices durchgeführt. Dieses Projekt hat zum Ziel, Manuskripte aus Schweizer Sammlungen für die Öffentlichkeit online zugänglich zu machen. «Le Viandier» und «Du fait de cuisine» sind heute auf der Webseite von e-codices neben anderen Schätzen der Bodmer-Stiftung in Genf und der berühmten Bibliothek von St. Gallen zugänglich.

 

Eine kritische Ausgabe, Bibliothekskatalog, Ausstellungskataloge, Digitalisierung, Fernsehsendungen... Jetzt fehlte nur noch eine populärwissenschaftliche Ausgabe, um ein grosses Publikum zu erreichen. Zwei Bücher, die in Frankreich bei den Verlagen Actes Sud und Heimdal erschienen sind, schliessen diese Lücke. Diese leicht zugänglichen Bücher, die noch im Buchhandel erhältlich sind, machen es möglich, diese Gerichte, die bislang nur einer mittelalterlichen Elite vorbehalten waren, zu Hause nach zu kochen oder es zumindest zu versuchen.

 

 

 

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